Betrachtung
Vor dem 16. Jahrhundert war das Verständnis von Krankheit in Europa großteils geprägt von religiösen Vorstellungen. Die Reaktion auf Krankheit beschränkte sich auf die Absonderung der erkrankten von der gesunden Bevölkerung. Krankheit wurde vor dem Hintergrund eines religiösen Verständnisses als Zeichen Gottes interpretiert. Krankheit war somit Schicksal, eigenes Verschulden, eine Folgeerscheinung von Fehlverhalten, Fluch oder Folge anderer Ursachen, welche zumeist außerhalb der menschlichen Möglichkeiten lagen. Im 16.Jhd begannen Ärzte damit tote Körper zu untersuchen, die Anatomie zu studieren und Zusammenhänge zu ergründen. Der in seiner Position zum Kranken bis zu dieser Zeit nicht sonderlich hervorgehoben Arzt erlangt durch seine Fähigkeiten, die Zeichen der Krankheit zu lesen, eine hervorgehobene Stellung gegenüber konkurrierenden Ständen, z.B. dem Baader, die sich sukzessive verfestigte. Der englische Arzt Thomas Sydenham (1624-1689), begann Krankheitsverläufe zu studieren und aufzuzeichnen. Das Resultat waren die ersten genauen Beschreibungen von Cholera, Durchfallserkrankungen, Masern, Scharlach, Chorea und Gicht. Sydenhams Nachfolger folgten seinem Beispiel nicht, und erst Anfang des 19. Jahrhunderts begannen französische Ärzte/Pathologen die damaligen klinischen Methoden zu erweitern und Symptome von Lebenden mit pathologische Veränderungen in Toten zu verknüpfen. Dies führte nicht nur zu einer Wissenserweiterung, sondern auch zu den ersten Begriffsdefinitionen in der Medizin. Dieser Aufschwung der Medizin war eng verknüpft mit der Entwicklung der neuen, der naturwissenschaftlichen Denkweise. Rene Descartes (1596 – 1650) war eine zentral Figur in der Entwicklungsgeschichte der Naturwissenschaften. In seiner Abhandlung über die naturwissenschaftliche Methode schrieb er: „Wenn ein Problem zu komplex ist, als dass du es auf einmal lösen kannst, so zerlege es in so viele Unterprobleme, die dann entsprechend so klein sind, dass du jedes dieser Unterprobleme für sich lösen kannst.“ Galileo Galilei (1564 – 1642 ), Johannes Kepler (1571 – 1630) und Isaac Newton (1642 – 1727) begründeten, neben vielen anderen, den endgültigen Durchbruch der Naturwissenschaften während des Zeitalters der Aufklärung (1730 – 1800). Galilei verhalf der experimentellen Physik durch genaue Experimente, durch Zeitmessungen an fallenden Körpern endgültig zum Durchbruch, Kepler begründete das Zeitalter der Vernunft und des Zweifels mit seiner Desakralisierung des damaligen Weltbildes, und Newton begründet unser naturwissenschaftliches Denken, durch die revolutionierende Definition von Raum und Zeit als Grundgrößen, welche relativ zum biologisches und physikalisches Geschehen angesehen werden können. Ohne Zweifel hat Newton die Physik und all das erst ermöglicht, was wir heute als physikalische Wissenschaft, ja als Wissenschaft schlechthin bezeichnen. Er hat das Zeitalter der Technik eröffnet, das Zeitalter der Dampfmaschinen, der Elektrizität, Atomenergie, Computer, der moderne Informationstechnologien etc. Alle diese technischen Errungenschaften sind im absoluten Raum-Zeit-Gerüst von Newton aufgehängt. Aber auch unser Denken, unser Weltbildapparat der Wahrnehmung, bis hinein in unser Weltgefühl, hat die Newtonsche Zeit in sich aufgenommen, und niemand kann sich dieser Tatsache entziehen. Zurück zur Medizin. Gefangen in der mechanistischen Denkweise der Naturwissenschaften des 19. Jahrhunderts, erfolgte die Entwicklung des biomedizinischen Verständnisses von Gesundheit und Krankheit. Kern dieses Modells ist das Konzept der linearen Monokausalität. Eine gegebene Ursache, oder manchmal eine Gruppe von Ursachen, führt zu einer spezifischen Erkrankung, welche nach der Diagnose bzw. Kategorisierung einer spezifischen Therapie zugeführt wird. Als Folge ihrer streng naturwissenschaftlichen Fundierung erfuhr die Medizin einen Entwicklungsschub ungeahnten Ausmaßes. Krankheiten wurden kategorisiert, statistische Methoden zur Abschätzung der Wirksamkeit von Behandlungen entwickelt, Krankheitserreger identifiziert, Therapien weiterentwickelt und verfeinert. Waren um 1900 vor allem Epidemiologen erfolgreich in der Bekämpfung von Krankheiten, welche ihre Ursachen in Infektion, mangelnder Hygiene, schlechter Lebens- und Arbeitsbedingungen und
schlechter Ernährung hatten, begann mit der Entdeckung des Penicillins 1941 der Höhenflug der klinischen Medizin. Es erscheint uns heute unvorstellbar, dass vor 1930 den Ärzten nur ein Dutzend an wirksamen Medikamenten zur Verfügung stand. Aspirin zur Behandlung des rheumatisches Fiebers, Digoxin für Herzversagen, Thyroxin und Insulin zur Behandlung von Hormondefiziten, Salvarsan für Syphilis, Bromid für Schlaflose, Barbiturate für Epilepsie und Morphin zur Linderung von Schmerzen. Kinderlähmung, Diphtherie, Keuchhusten, TBC führten tagtäglich zu Behinderung oder Tod in allen Altersgruppen der Bevölkerung. Das Leiden der Kranken und die Hilflosigkeit der Ärzte vor 1940 bleibt außerhalb der Vorstellungskraft eines später Geborenen und glücklichem Einwohner eines reichen Landes. Für einen kleinen Kratzer, welcher zu Wundbrand/Erysipel führte, gab es nur drei Alternativen - Genesung, Tod oder Amputation. Vor der Entdeckung von Chlorpromazin im Jahre 1952 füllten Tausende von „Geisteskranken“ die Säle von Irrenanstalten, unter heute nicht mehr vorstellbaren Bedingungen. Die moderne Medizin begründet sich nach Le Fanu auf zehn definitive Entdeckungen und Errungenschaften. Penicillin 1941, Cortison 1949, TBC-Dualtherapie 1950, Chlorpromazin 1952, Operation am offenen Herzen 1955, Nierentransplantation 1963, Schlaganfallprevention 1964, Erfolge in der Leukämiebehandlung 1971, erste künstliche Befruchtung 1978 und der Entdeckung von Helicobacter 1984. Zahlreiche Errungenschaften prägten den Zeitraum zwischen 1941 und 1984. Danach wurde es stiller, als einzige herausragende Neuentdeckungen nennt Le Fanu die Thrombolyse nach Herzinfarkt 1987, Dreifachtherapie für AIDS 1996 und Viagra zur Behandlung der Impotenz. Die Entwicklung der Medizin lief bis ca. 1985 parallel zur allgemeinen technologischen Entwicklung in den reichen Ländern der Erde. Ebenfalls parallel verlief der Aufstieg der Ärzte, ihre zunehmende Spezialisierung, die Vertheoretisierung und Vermassung ihrer Ausbildung, die rasante Zunahme der Anzahl und der Fragmentierung von Versorgungseinrichtungen, die zunehmende Krise von Gesundheitssystemen. Das ungemein erfolgreiche biomedizinische Paradigma, welches inzwischen alle Aspekte der Krankenbehandlung, medizinischen Forschung und Ausbildung von Ärzten dominierte, war an seinen Grenzen angekommen. Tatsache bleibt: Die Gesundheitsausgaben steigen, die Bevölkerung wird zunehmend medikalisiert, Krankheiten werden durch den Massenkonsum medizinischer Versorgungseinrichtungen behandelt, marktwirtschaftliches Denken dominiert die Krankenversorgung. Die Anzahl der, um ihre Gesundheit, besorgten Gesunden in der Bevölkerung nimmt zu, die Anzahl der desillusionierten und verunsicherten Ärzte nimmt zu. Patienten suchen nach Alternativen, das Mediziner – Patienten Verhältnis wird zunehmend ambivalent, zwischen blindem Vertrauen und Misstrauen, Entmündigung und Eigenverantwortung schwankend, und alle Akteure kreisen auf ihrer eigenen Umlaufbahn um den Gesundheitsglobus. Faktum bleibt, viele, vor allem jüngere Ärzte, sehen sich heute in aller erster Linie als naturwissenschaftliche ausgebildete Experten zur Behebung definierter und objektivierbarer Funktionsstörungen. In diesem Selbstverständnis bekundet sich eine ingenieurwissenschaftliche, physikochemische, biomechanische Konzeption der Medizin. Diese beherrscht – wie könnte es anders sein – natürlich auch die Patienten. Der Patient, der seinen Organismus als Analogon zu einer technischen Maschine betrachtet, kann daraus die Zuversicht und sein Bestehen auf eine perfekte Reparatur ableiten. In den letzten zwei Jahrzehnten wurde die körperliche Untersuchung, durch die Hände und Sinnesorgane des Arztes, durch die atemberaubende Entwicklung diagnostischer Technologien abgelöst. Angefangen vom Röntgenbild, dem Ultraschallgerät, der Computertomographie, der Kernspintomographie, etc, erfolgte eine ständige Verfeinerung der Diagnosemöglichkeiten, mit denen nur der Wille zur Behandlung und Kategorisierung der dabei gefundenen `Krankheiten´ mithalten konnte. Krankheiten werden reduziert auf ihre biochemische, endokrinologische, neurophysiologische oder verhaltensbedingte Unterschiedlichkeit von dem, was im biomedizinischen oder biomechanischen Paradigma als gesund definiert wurde. Der Patient, naturwissenschaftlich gesehen, wurde zur Maschine, der Fokus war auf den Teil des Mechanismus gerichtet welcher funktionierte, oder im Falle einer Krankheit nicht funktionierte.
Mittlerweile sind die Diagnosemöglichkeiten so verfeinert worden, dass man Individuen als krank identifizieren kann, die sich selbst noch gar nicht krank fühlen, und mit dem Durchbruch von genetischen Tests für größere Bevölkerungsgruppen, werden Menschen identifiziert, die nicht krank sind, sich nicht krank fühlen, aber möglicherweise krank werden könnten. Eine Diagnose, im Einklang mit der vorherrschenden Klassifizierung von Krankheiten, dient als einzig mögliche Basis für die Betrachtung und Organisation aller erhobenen Befunde. Die einer Diagnose folgende Behandlung stützt sich nicht nur auf diese biomechanischen Perspektive, sondern entfernt sich durch die Objektivierungstendenz der Diagnostik vom subjektiven Krankheitsempfinden des Individuums. In der Realität dominiert aber das erkrankte Individuum und nicht die Diagnose. Individuen mögen sich ähneln sind aber nicht gleich, deshalb ist jede Diagnose individuell und nicht immer objektivierbar, das gleiche gilt auch für die Behandlung. Es ist ausgeschlossen, das Funktionsganze eines Organismus aus den Elementen bzw. deren Wechselwirkungen zu erklären. Biologische Phänomene gehören einer höheren Ebene an als physikalisch-chemische. Leben ist Prozess und nicht Substanz. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Die Methode der generalisierten Reduktion ist für die Medizin unentbehrlich, denn nur sie ermöglicht es, Einsichten zu gewinnen, die für alle Menschen gleichermaßen gelten. Die Beschäftigung mit lebenden Organismen lehrt jedoch, dass wir der interindividuellen Variabilität gleichermaßen Rechnung zu tragen haben. Während ein Gesundheitsingenieur keinen Grund sieht, sich mit etwas anderem zu beschäftigen als mit der Reparatur einer klar definierten Funktionsstörung, reicht dies für einen Arzt nicht aus. Das Phänomen `Leben´ geriet mit der Entwicklung des biomedizinischen Paradigmas ins Abseits. Das biomedizinische Paradigma übersieht, vernachlässigt und negiert dabei das der tote Körper nicht identisch ist mit dem lebenden, dass lebende Strukturen ihre eigenen Gesetze haben, dass lebendige Systeme hochkomplex und weitentfernt vom thermodynamischen Gleichgewicht agieren, deshalb thermodynamisch offen sind, d.h. sie existieren entgegen dem fundamentalen Prinzip des Gleichverteilungstrends, der Entropie. Vorgänge in lebendigen Systemen sind prinzipiell irreversibel (Negentropie), ihr Verhalten ist mit der Außenwelt abgestimmt (Selbstreferential) und hochgradig fähig zur Selbstorganisation. Bleibt zu fragen: Ist all dies ein Grund das vorherrschende biomedizinische Paradigma zu hinterfragen? Die Antwort ist ja. Quellen der Betrachtung: Gerald Ulrich, Biomedizin, Die folgenschweren Wandlungen des Biologiebegriffes. Schattauer Verlag, 1997. Friedrich Cramer, Chaos und Ordnung, Die komplexe Struktur des Lebendigen. Insel Taschenbuch, 1993. Friedrich Cramer, Der Zeitbaum, Grundlagen einer allgemeinen Zeittheorie. Insel Taschenbuch, 1996. Friedrich Cramer, Symphonie des Lebendigen, Versuch einer allgemeinen Resonanztheorie. Insel Taschenbuch, 1998. Hannes Pauli, Kerr White, Ian McWhinney, Medical education, research, and scientific thinking in the 21st century, part one, two, three. Education for Health, 2000. James Le Fanu, the rise and fall of modern medicine. Caroll & Graf Publishers, New York, 2000.
Betrachtung
Im zweiten Teil meiner Betrachtungen möchte ich die Notwendigkeit einer Hinterfragung des biomedizinischen Paradigma begründen. Hans Selye schrieb 1960: „Es gibt zwei Verfahren neues zu entdecken. Einmal kann man mit Hilfe der jeweils gerade aktuellen und aufwendigsten Technik sich den allerwinzigsten Details widmen. Man kann aber auch einen scheinbar bekannten Sachverhalt von einem bis dato unüblichen Blickwinkel aus betrachten, wodurch völlig neue Facetten sichtbar werden. Während das erstere Verfahren eine Menge Geld und auch erhebliches methodisches Spezialwissen erfordert, braucht man für das zweite Verfahren lediglich die Fähigkeit sich von etablierten Seh- und Denkgewohnheiten freizumachen.“ Gerald Ulrich schrieb 1997: „Das systematische Lernen während des Medizinstudiums, welches allzu leicht zum stupiden Auswendiglernen gerät und überdies die Fähigkeit zum eigenständigen Denken, insbesondere dem kritischen In-Fragestellen des Bestehenden unentwickelt lässt, . prägt die Ärzte der Gegenwart.“ Hannes Pauli schrieb 2000: „Der geschäftige Arzt, der überlastete Akademiker, sowie der getriebene Student haben zu wenig Zeit und bedauerlicher Weise auch zuwenig Neugier um die vorherrschende Philosophie zu hinterfragen.“ Gottlieb Hufeland schrieb 1797: „Kann man aber wohl hoffen, daß diese Selbständigkeit des Geistes an dem jungen Mann hervorkommen werde, der nichts weiter zu tun hat, als gewisse vorgeschriebene Sätze und Erklärungen nachzubeten und die ebenso vorgeschriebenen Methoden und Mittel anwenden? Unmöglich, er muß die Freyheit und Selbsttätigkeit des Geistes, also gerade das beste, was der Mensch hat, zugleich verlieren.“ Ein kritisches „In-Fragestellen“ dient dem Zweck, Stärken und Schwächen des vorherrschenden, dominierenden Paradigma aufzuzeigen. Die Stärken einer monokausalen, biomechanischen Sichtweise wurden und werden uns eindrücklich demonstriert. Kein Tag vergeht, ohne dass neue Errungenschaften publiziert werden. Ein jeder kennt die Erfolgsgeschichte und hat den Segen der modernen Medizin am eigenen Leib verspürt, wäre ohne sie vielleicht nicht mehr am Leben. Gerade aufgrund dieser unbestreitbaren Stärken scheint es so schwer, offen die Schwächen zu diskutieren und wer etwas ändern will, darf sich des entschiedenen Widerstandes der Repräsentanten des Status quo sicher sein. Erschwert wird diese kritische Auseinandersetzung durch die neuesten Entdeckungen in Physiologie, Biochemie, Immunologie, Molekularbiologie und Genetik, welche den Anschein erwecken, dass den naturwissenschaftlichen Möglichkeiten keine Grenzen gesetzt sind und in absehbarer Zeit alle noch offenen Fragen gelöst sein werden. Modernste Diagnosetechniken und Hightechmedizin haben das biomechanische Konzept dermaßen verfeinert, dass an seiner Unfehlbarkeit viel zu selten gezweifelt wird und eine Diskussion über Fehlbarkeit, Unsicherheiten, Limitierungen und Unwissenschaftlichkeit, als dessen Entsakralisierung missverstanden wird. Eine emotionslose Diskussion ist deshalb, zumindest unter Ärzten, kaum möglich. Der unglaublichen Entwicklung der Medizin zwischen 1940 und 1985 folgte eine ebenso unglaubliche Verlangsamung. Dies scheint auf den ersten Blick schwer verständlich. Bei genauerer Betrachtungen erkennt man die Ursachen und deren Folgen. In den achtziger Jahren dauerte es noch einige Zeit bis sich die Errungenschaften der Jahrzehnte zuvor, in der neuen Ärztegeneration, in der Alltagspraxis, etabliert hatten. Eine Generationen von Ärzten musste sich erst die Fähigkeiten und das Wissen aneignen, um selbiges anzuwenden und zu verfeinern. Viele Techniken und Methoden, z.b. Organtransplantation, Laparoskopie, Endoskopie gehörten bald zum Standardrepertoire in den Krankenhäusern vieler Ländern. Der gewaltige Anstieg von Spezialisten unter den Ärzten, sowie die rasante Zunahme von Spezialabteilungen und Spezialambulanzen waren die Folgen dieser Entwicklung. Die Medizin hatte sich in eine anspruchsvolle Wissenschaft mit riesigem Budget, viel Personal und verankerter Rolle in der Gesellschaft verwandelt. Die Lehre, Forschung und Anwendung der Medizin wurde Aufgabe eines Gesundheitsapparates. Eine vor 1930 kaum existente Pharmaproduktion hatte sich bis 1960 in eine riesige Pharmaindustrie verwandelt, schließlich galt es statt 12 plötzlich 2000 Medikamente zu produzieren und zu vermarkten.
Schon 1980 zeichnete sich ab, dass sich die Entwicklung neuer Medikamente verlangsamte. Folgende Gründe waren dafür maßgeblich: Nach Jahrzehnten der stillen Akzeptanz von Nebenwirkungen der ansonsten so erfolgreichen Medikamente, folgte nun eine kritischere Phase, eingeleitet nicht zuletzt durch die verstümmelnde Wirkung des Schlafmittels Thalidomide (Contagan) auf ungeborenes Leben. Eine Verschärfung der Gesetzgebung führte zu einer Verteuerung und Verlangsamung des Prozesses. Die Zeit der wirklich neuen Medikamente mit bahnbrechender Wirkung, der Geschenke der Natur, der Verkaufsschlager mit niedrigen Entwicklungskosten, war 1980 vorbei und die Pharmaindustrie musste sich nach neuen Möglichkeiten umschauen. Diese bestand in der Weiterentwicklung und Verbesserung der Basismedikamente, einer Automatisierung und Verbilligung der Produktion, mit in logischer Weise folgender Vergrößerung des Absatzmarktes. Im Jahre 2001 hat sich diese Situation kaum verändert, die Pharmaindustrie kompensiert Ideen- und Erfolglosigkeit bei der Entwicklung von wirklich neuen Medikamenten, durch eine Medikalisierung der Bevölkerung mit sogenannten lifestyle Medikamenten. Hinzu kommt eine sich ständig vergrößernde und verteuernde Produktpalette, welche sich nur wenig vom billigen, fast gleich wirksamen Basismedikament, dem Generikum unterscheidet, welches zwanzig oder mehr Jahre zuvor entdeckt wurde. Der Wirkungsmechanismus ist nur für die wenigsten dieser Medikamente bekannt, was mit dem ebenso oft fehlenden Wissen über die Ursache der damit behandelten Erkrankung, zu einem trial und error Verhalten führt. Nebenwirkungen, Wechselwirkungen von Medikamenten und ihrer Metaboliten machen die Sache für behandelnde Ärzte nicht einfacher, werden deshalb auch oft als unbedeutend ignoriert. Unglaubliche Summen werden für unzählige Studien ausgegeben um marginale Unterschiede zwischen Medikamenten zu finden und ihren Einsatz zu legitimieren. Oft vergessen wird, dass die Anzahl derer, welche mit diesen lifestyle Medikamenten behandelt wird, nicht 1:1 mit der erwünschten Wirkung ist. So verhindert die antihypertensive Behandlung eines diastolischen Blutdruck zwischen 90 und 100 mmHg, ein Folgeereignis des erhöhten Blutdruckes, wie vorzeitigen Tod, Schlaganfall oder Herzinfarkt, nur in etwa 1% der Behandelten. 99% haben den Blutdrucksenker umsonst geschluckt. Ungeachtet der Tatsache, dass dieser Umstand, mehr oder weniger, für die meisten dieser Massenmedikamente gilt, ist er nur wenigen Ärzten bekannt und bleibt damit auch den Patienten verborgen. Damit sollen solche medikamentösen Therapien nicht generell als unnotwendig bezeichnet werden, sondern ihr tatsächlicher, eher in Wahrscheinlichkeiten zu beschreibender Effekt deutlich aufgezeigt und somit allen Beteiligten bewusst gemacht werden. Die Technologische Entwicklung setzte sich während 1980 und 2001 ungebremst fort. Immer neue Diagnoseverfahren wurden entwickelt und in immer größerer Anzahl auch verwendet. Dass jedes Diagnoseverfahren eine eingeschränkte Sensitivität (richtig positiv) und Spezifität (richtig negativ) hat ist schon seltener bekannt. So bedeutet zum Beispiel eine positive Mammographie für eine vierzigjährige Frau nicht automatisch die Diagnose Brustkrebs. Ein positiver Test in diesem Alter bedeutet aufgrund der oben beschriebenen Einschränkungen nur für etwa 5 von 100mal, dass diese dramatische Diagnose vorliegt. 95mal müssen sich die falsch Positiven gedulden bis Folgetests das Gegenteil beweisen. Mit der Explosion an Befunden und Diagnosen explodieren auch Fehlbefunde und Fehldiagnosen, welche nicht selten in Fehlbehandlungen münden. Als Beispiel sei auf die in jeder fünften Kernspintomographie zu findenden UBO (unidentified bright objects) hingewiesen, welche nicht selten, bis zum Beweis des Gegenteils, zur falschen Verdachtsdiagnose Multiple Sklerose oder Multiinfarktsyndrom führen. Der moderne Arzt ist zum technisch versierten Diagnostiker geworden, sein Abstand zum Patienten hat sich nicht nur räumlich vergrößert. Diese Entwicklung schreitet fort, ungeachtet der seit Jahren bekannten Tatsache, dass fast die Hälfte der Probleme welche den Patienten in die Arztpraxis führt nicht in herkömmliche Diagnosesysteme einzugliedern ist. Die technologische Entwicklung führte jedoch nicht nur zu einer Explosion der Diagnosen, sondern auch zu einem Kampf gegen das Sterben. Ein Großteil der Gesundheitsausgaben fällt in die letzten zwölf Lebensmonate von jungen und alten, schwerkranken, sterbenden Patienten. Die Möglichkeit der Übernahme von Organfunktionen durch Maschinen, wie Beatmungsmaschinen, Dialysemaschinen und Herz-Kreislaufmaschinen auf den Intensivstationen dieser Erde hat nicht nur medizinische Wunder ermöglicht, sondern das Sterben von alten und unheilbar kranken Menschen zu einem Kampf gegen das Unvermeidliche verwandelt. Dieser Kampf hat das biomedizinische Modell an eine weitere seiner Grenzen geführt, welche in erster Linie eine ethische ist.
Den Erfolgen in der Bekämpfung todbringender Infektionskrankheiten, folgte die Zeit der chronischen, unheilbaren Krankheiten. Krebserkrankungen, Herz-Kreislauferkranken machen bereits 75% aller Sterbefälle aus. Dieser Umstand belastet nicht nur Gesundheitsbudgets, sondern führt das biomedizinische Modell an eine weitere Grenze, die Grenzen seiner Möglichkeiten und Erklärungen. Ungeachtet der Wahnsinnssummen, welche Jahr für Jahr von der Krebsforschung verschlungen werden, hat die Medizin nur wenig über die Ursachen von Krebs herausgefunden und abgesehen von den bahnbrechenden Erfolgen in der Krebsbehandlung von jungen Patienten und Sonderformen, blieben die Erfolge in der Behandlung der häufigsten Krebsformen alter Menschen aus. Diese Krebsformen werden weiter zunehmen und im Jahr 2005 40% der Todesursachen ausmachen und parallel dazu wird auch die Zahl der chronisch Kranken weiter steigen. Unsummen werden ausgegeben um in Studien die Schädlichkeit unserer Umwelt zu beweisen. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht vor neuen Gefahren und möglichen Zusammenhängen zwischen Umweltfaktoren und Krankheiten gewarnt wird. Dieser Umstand ist zwar nicht zwangsläufig auf eine biomechanische Betrachtungsweise von Krankheit zurückzuführen, führt aber der Gesundheitsindustrie eine ständig steigende Zahl von besorgten Gesunden zu, für welche nicht selten Diagnosen und Behandlungen kreiert werden. Viele, aber nicht nur sogenannte psychosomatische Erkrankungen fallen in diesen Bereich. Die klinische Forschung hat sich immer weiter von der klinischen Praxis entfernt, und die Epidemiologie findet nur mehr in Statistiken signifikante Unterschiede, welche immer seltener reale Relevanz besitzen. Die quantitative Erfassung und Verarbeitung von Daten war eine der treibenden Kräfte für den Erfolg des biomedizinischen Modells. Es ist aber inzwischen nicht so sehr quantitatives (Erfassung durch Messapparat) sondern eher qualitatives (Erfassung durch Sinne) Wissen, das uns effektives Handeln möglich macht. Man sollte sich, angesichts des, den medizinischen Wirtschaftsbetriebes beherrschenden, Quantifizieren, beständig vor Augen halten, dass wir ja selten Patientengruppen, sondern Individuen behandeln. Eine gewisse Nähe bzw. individuelles Handeln ist somit erforderlich. Das biomedizinische Paradigma war und ist ungemein erfolgreich in der Behandlung von Krankheiten und seine Stärken waren maßgeblich an einer Verbesserung unserer Gesundheit und der Gesundheit der Gesamtbevölkerung beteiligt, auch wenn dieser Anteil ein oft überschätzter ist. Er wird aus der Public Health Perspektive als geringfügiger im Vergleich mit Verbesserung des Lebensstandards, der Ernährung, Arbeitsbedingen, Ausbildung, etc. angesehen. Es ist auch ganz wesentlich zu bemerken, dass die Stärken des biomechanischen Modells in der Krankenbehandlung zu suchen sind und nicht in der Gesundheitserhaltung. Trotz der gewaltigen Kosten und dem Materialaufwand in der Gesundheitsindustrie, welche die Verwaltung von Gesundheitsbudgets zu einer Aufgabe für Experten gewandelt hat, welche zu Rationierungsmaßnahmen und schon als verzweifelt zu bezeichneten Lenkungsversuchen dieser Experten führte, blieben die Schwächen bestehen. Sie mussten bestehen bleiben, weil das zugrunde liegende Paradigma in der westlichen Medizin das gleiche geblieben war, ungemein erfolgreich aber auch 300 Jahre alt. Die Erfolge der Nachkriegsjahre, die Entdeckung neuer Medikamente, die technologische Revolution, verschleierte die Tatsache, dass die meisten dieser Errungenschaften erreicht wurden ohne die Natur von Krankheiten zu verstehen. Fünfzig Jahre später weiß die Medizin nur die Ursache von einem kleinen Teil der Krankheiten aus dem medizinischen Textbuch: Von vielen Infektionskrankheiten, Krankheiten welche durch einen einzelnen Gen Defekt verursacht werden, einigen Umwelt und Verhaltensbedingten Erkrankungen, einigen Krebs und altersbedingten Erkrankungen, sowie einigen Erkrankungen des Kreislaufsystems. Für die überwiegende Anzahl der Krankheiten im Textbuch, wie die meisten neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen, alle rheumatologischen Erkrankungen, die meisten Haut- und allergischen Erkrankungen, fast alle Autoimmunerkrankungen, und viele andere, fehlt ein genaues Wissen über die Ursache. Was behandelbar ist wird behandelt, oft sehr erfolgreich, wirkliche Verbesserungen sind jedoch aus dieser Sichtweise kaum mehr möglich. Das biomedizinische Paradigma hat seine Decke erreicht und kann auf große Erfolge zurückblicken. Im Jahre 2001 scheint es jedoch, das diese Begrenzung von uns Menschen, am wenigsten von uns Ärzten, akzeptiert und erkannt wird, geschweige denn offen diskutiert wird. Das biomechanische Modell dreht sich seit 20 Jahren unter dieser Decke im Kreis. Die Folgen dieses Anschlagens an seine
Grenzen entlarvt nicht nur die Schwächen des Modells, sondern beginnt es in manchen Bereichen umzudrehen. Aus einem Modell, welches vor 300 Jahren entwickelt wurde um Krankheiten besser zu verstehen und zu behandeln, ist in diesen Grenz- oder Umkehrbereichen eine Krankheitsursache geworden. Die Massenverschreibung von Medikamenten, die Massenanwendung von Diagnoseverfahren und der Massenkonsum von Gesundheitseinrichtungen führt zu einem nicht mehr vernachlässigbaren Schaden der durch den Nutzen keineswegs kompensiert wird. Der Arzt der Gegenwart ist nicht nur ein Gesundheitsingenieur, sondern droht zur Gefahr für die Gesundheit zu werden. Unsicherheit wird zu einem zentralen Problem bei der medizinischen Leistungserstellung. Wesentliche Quellen der Unsicherheit liegen in der Schwierigkeit, einen individuellen Patienten diagnostisch zu klassifizieren, im fehlenden Wissen über die Wahrscheinlichkeit der verschiedenen Behandlungsergebnisse, in unterschiedlichen Wertvorstellungen/Perspektiven von Arzt und Patient. Diese Unsicherheit beeinflusst, neben anderen Faktoren (z.B. Finanzierung) den Entscheidungsprozess. Routine, unkritischer Technologie (in Diagnostik und Behandlung) und Medikamentengebrauch, sind die Folge. Gerald Ulrich: „Wenn wir wirklich Interessensvertreter unserer Patienten sein wollen, dann müssen wir uns, entgegen der herrschenden Praxis, mit der uns als Ärzten zukommenden Macht und der damit untrennbar verbundenen mehr oder wenig latenten Gewalttätigkeit selbstkritisch auseinandersetzen. Vermeiden wir dies, dann werden wir die Interessen unserer Patienten unvermeidlich nach unseren eigenen subjektiven Vorstellungen definieren, in die destruktiv-aggressive Momente ebenso wie wissenschaftliche, ökonomische und andere Interessen einfließen können.“ Es wäre allerdings falsch die Krise unseres Gesundheitswesens und die Folgen der Schwächen des biomedizinischen Modells allein den Ärzten anzulasten. Das herrschende biomechanische Paradigma beherrscht natürlich auch die Patienten, nicht zuletzt aufgrund der zumeist irreführenden Information durch die Medien, es ist letztendlich ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wir haben es mit einem Circulus vitiosus zu tun, der den Status quo gegen Veränderungen immunisiert. Bleibt zu fragen: Ist all dies ein Grund, das vorherrschende biomedizinische Paradigma zu erweitern, auf seinen Stärken aufzubauen und seine Schwächen zu reduzieren. Die Antwort ist ja. Quellen der Betrachtung: Gerald Ulrich, Biomedizin, Die folgenschweren Wandlungen des Biologiebegriffes. Schattauer Verlag, 1997. Friedrich Cramer, Chaos und Ordnung, Die komplexe Struktur des Lebendigen. Insel Taschenbuch, 1993. Friedrich Cramer, Der Zeitbaum, Grundlagen einer allgemeinen Zeittheorie. Insel Taschenbuch, 1996. Friedrich Cramer, Symphonie des Lebendigen, Versuch einer allgemeinen Resonanztheorie. Insel Taschenbuch, 1998. Hannes Pauli, Kerr White, Ian McWhinney, Medical education, research, and scientific thinking in the 21st century, part one, two, three. Education for Health, 2000.
Betrachtung
Bevor über eine Erweiterung des biomedizinischen Paradigma nachgedacht werden kann gilt es, sich mit lebendigen Systemen zu beschäftigen. Dem Phänomen „Leben“, eines der großen Rätsel, welches den denkenden Teil der Menschheit von jeher beschäftigte, ist diese Betrachtung gewidmet. Es ist unbestritten, dass das Zerlegen von Lebewesen in ihre Bestandteile, die Erforschung der physikalisch-chemischen Zusammenhänge, unser Wissen vom Organischen enorm gefördert hat. Unbestreitbar ist jedoch auch, dass wir damit einer wissenschaftlichen Erklärung des Phänomens „Leben“ kein bisschen näher gekommen sind. Langsam beginnt sich auf breiter Front die Einsicht durchzusetzen, dass sich die einst gehegte Zuversicht, Leben aus den Bausteinen heraus vollständig erklären zu können, nicht erfüllen wird. Lebende Systeme können immer nur in einem Gefügezusammenhang begriffen werden. Das Lebendige ist durch Evolution entstanden, Evolution heißt Weiterentwicklung, Vervollkommnung, Erlangung von zusätzlichen Fähigkeiten, Ausdifferenzierung, immer höhere Komplexität, führt zu immer stärkerer Verfeinerung und Verästelung. Das Lebendige wird immer komplexer, es entfernt sich immer weiter vom thermodynamischen Gleichgewicht, es wird immer störanfälliger. Das Leben ist eine Gratwanderung. Der Mensch ist ein Produkt der Evolution, der Mensch ist ein hochkomplexes lebendiges Wesen, in dem ständigen Bemühen sein inneres Gleichgewicht zu halten, in ständiger dynamischer Wechselwirkung mit seiner Umwelt. In das Leben sind irreversible Elemente eingebaut, so dass das Leben als Ganzes irreversibel wird. Es gibt kein ewiges Leben des Lebendigen, und Altern und Sterben sind keine vermeidbaren oder heilbaren Krankheiten, sondern Lebensschicksal alles Lebendigen. Allein die Tatsache, dass das hochkomplexe „Leben“ Mensch die Fähigkeiten besitzt eine Zeitspanne von bis zu hundert Jahren der Entropie, dem ständigen Energieverlust in Richtung thermodynamisches Gleichgewicht (Wärmetod) zu trotzen, ist ein Phänomen von dessen Erklärung der Mensch noch weit entfernt ist. Ein Beispiel zum besseren Verständnis dieser Leistung sei hier angeführt. Insgesamt gibt es im menschlichen Organismus mehr als 10000 verschiedene Proteine (nicht gerechnet die Vielfalt der Antikörper), deren Bauplan auf der DNS (der Erbsubstanz) kodiert (gespeichert) ist. Diese mehr als 10000 Proteine müssen wiederum in der richtigen Weise ihren Platz im Gesamtgeschehen finden. Diese Einordnung muss nicht nur strukturell, sondern auch zeitlich dynamisch aufeinander abgestimmt sein, z.B. zum richtigen Zeitpunkt muss die Zelle sich teilen, bei der Entstehung des Embryos müssen sich zum richtigen Zeitpunkt die Zellen des Zentralnervensystems in der richtigen Weise über Kopf und Rückenmark verteilen, das Längenwachstum muss mit der Pubertät gestoppt werden, eine Wunde muss zuwachsen aber nicht mehr. Diese Liste lässt sich beliebig fortsetzen. Die Blutgerinnung, die Erzeugung von Antikörpern, die Verstärkung von Enzymen durch Aktivierungskaskaden, die Wirkung von Hormonen, all dies sind hochkomplexe Vorgänge, welche miteinander verflochten, räumlich und zeitlich abgestimmt, fast fehlerfrei ablaufen müssen um das Phänomen „menschliches Leben“ zu ermöglichen und aufrechtzuerhalten. Die Aufrechterhaltung des inneren Gleichgewichtes alleine reicht jedoch nicht aus. Das Überleben lebendiger Systeme ist mit einer weiteren Fähigkeit verbunden, sie müssen auch auf Veränderungen der Umwelt reagieren können. All dies führt uns zu einer neuen Definition des Krankheitsbegriffes. Gerald Ulrich: „Aus der für eine Erweiterung des biomedizinischen Konzeptes fundamentalen biologischen Perspektive lässt sich Krankheit als gestörte Beziehung des Organismus zu seiner Umwelt definieren. Jeder lebende Organismus findet sich in einer permanenten Wechselwirkung mit seiner Umwelt. Leben entspricht der Aufrechterhaltung eines dynamischen Gleichgewichtszustandes zwischen Organismus und Umwelt. Umweltereignisse können dieses Gleichgewicht mehr oder weniger ausgeprägt verschieben, Es kommt zu einer vorübergehenden Desorganisation des Organismus. Diese bedingt einen reorganisierenden Prozess, der in Richtung des vorbestehenden Gleichgewichts zwischen Organismus und Umwelt führt. Ein Organismus, dem die Wiederherstellung des Status quo immer wieder gelingt, ist als gesund zu bezeichnen. Es lässt sich demnach auch sagen, dass er umso gesünder ist, je größere Gleichgewichtsauslenkungen er zu verkraften vermag. Gelingt diese Reorganisation nur unzureichend oder überhaupt nicht, dann sprechen wir von Krankheit. So
betrachtet, erscheint Krankheit als eine bestimmte Weise von Leben und nicht, wie in der biomedizinischen Konzeption, als eine vom gesunden Organismus unabhängig zu denkende, sich ihm hinzugesellende Wesenheit. Eine derartige Entmystifizierung des Krankheitsbegriffes erscheint als unerlässliche Voraussetzung dafür, dass die Medizin zu einer biologischen Disziplin im eigentlichen Sinne werden kann.“ Diese Betrachtung von Krankheit ist nicht so neu wie es scheint. Hufeland, Kant, Schelling, Fichtes und viele andere beschäftigten sich damit, hatten aber nicht nur mit den Verführungen des naturwissenschaftlich reduzierenden Konzepts zu kämpfen, sondern verfügten auch nicht über jenes Wissen, welches der Menschheit heute zur Verfügung steht. Heute ist die Medizin immer noch stolz Naturwissenschaft zu sein, aber sie übersieht, dass sie eine Naturwissenschaft des 19. Jahrhunderts geblieben ist. Sie macht nach wie vor kaum Anstalten aus neu gewonnen Einsichten über Selbstorganisation, Autopsie und Salutogenese (siehe unten) Konsequenzen zu ziehen, und ignoriert standhaft die inzwischen schon nicht mehr so neuen Erkenntnissen aus Quantenmechanik und Chaostheorie. Das biomedizinische Konzept dominiert die Medizin und das Denken ihrer Vertreter und ihrer Patienten. Hand in Hand mit der Wandlung des Arztes zum Gesundheitsingenieur wurde die Ärzteschaft in das marktwirtschaftliche System von Angebot und Nachfrage eingegliedert. Den „neuen“ wissenschaftlichen Erkenntnissen und ihrer Bedeutung soll der zweite Teil dieser Betrachtungen gewidmet sein. Markstein auf dem Weg zu einem besseren Verständnis von „Leben“ waren Arbeiten welche ein Systemkonzept von lebendigen Organismen zu erstellen versuchten. Dazu gehören Arbeiten über 1) thermodynamisch offene (negentrope) Systeme, 2) Selbstorganisation, Selbststabilisierung und Selbstreproduktion (Autopoiesis), 3) Selbstreferentialität, 4) Ordnungszustände, 5) das Leib-Seele-Problem und 6) subjektive Wirklichkeiten. 1) Lebende Systeme sind thermodynamisch offen, was soviel heißt, dass aufgrund eines stetigen Stoff- und Energieaustausches zwischen System und dessen Umgebung sich diese Systeme ständig einen dynamischen Gleichgewichtszustand erarbeiten müssen. Lebende Systeme widersprechen damit scheinbar dem 2.Hauptsatz der Thermodynamik (Entropiesatz von Clausius), wonach alle physikalisch-chemischen Prozesse in Richtung maximaler Entordnung (Entropie) verlaufen. Tatsächlich aber besteht ein solcher Widerspruch nicht: Der Entropiesatz gilt nur für geschlossenen Systeme. Daraus ergibt sich die Frage wie es überhaupt möglich ist, dass sich in einer dem thermodynamischen Gleichgewicht zustrebenden Welt geordnete Strukturen, wie es Lebewesen sind, aufbauen und ihre Ordnung entgegen dem allgemeinen Entropietrend für eine bestimmte Zeit aufrechterhalten können. Diese Frage kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur teilweise beantwortet werden. Systeme, die für die Aufrechterhaltung ihrer Struktur bzw. eines bestimmten Ordnungszustandes an einen Energiefluss gebunden sind und sich mit ihrer Umwelt in einem Zustand des energetischen Ungleichgewichtes befinden (sonst wären wir bald nicht mehr von der Umwelt unterscheidbar) werden als dissipative Systeme bezeichnet. Zwar sind alle lebendigen Systeme dissipative, aber ein dissipatives System ist nicht zwangsläufig ein lebendiges. Mit dem Konzept der thermodynamisch offenen dissipativen und sich selbstorganisierenden Systeme verfügen wir über eine äußerst fruchtbare Alternative zu dem in der Physik längst obsolet gewordenen linear-kausalen Ursache-Wirkung Prinzip. Als absolut unbeantwortet kann jedoch die Frage gelten, warum sich Materie in offenen Systemen organisiert hat, die sich, physikalisch gesehen, zeitweilig (Mensch bis zu 100 Jahre) in einem höchst unwahrscheinlichen Zustand fernab vom thermodynamischen Gleichgewicht erhalten. 2) Alle natürlichen Systeme sind geordnete Ansammlungen von Materie/Energie in einem raum-zeitlichen Kontinuum. Entgegen dem universellen Entropietrend vermögen sie ihren Zustand (Organisation) für eine bestimmte Zeit aufrechtzuerhalten. Alle natürlichen Systeme sind durch Selbstorganisation entstanden, woraus folgt, dass der Materie die Potenz zur Selbstorganisation innewohnt. Selbstorganisation ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für die Existenz von lebendigen Systemen. So ist auch ein Kristall ein natürliches, durch Selbstorganisation entstandenes System. Das Phänomen der Selbstorganisation verweist also auf ein allgemeines Gesetz der Naturorganisation, das den physikalischen und biologischen Gesetzen übergeordnet ist. Die in den letzten Jahrzehnten nahezu zeitgleich in ganz verschiedenen Disziplinen unternommenen Bemühungen, das Phänomen der Selbstorganisation bzw. des kooperativen Verhaltens der Elemente in
Systemen fernab vom thermodynamischen Gleichgewicht zu erklären, haben eine Revolutionierung unseres Welt- und Menschenbildes erzwungen. Selbstorganisationsprozesse verlaufen sprunghaft diskontinuierlich. Nur selbst organisierende Systeme haben eine Entwicklungspotenz. 3) Lebendige Systeme besitzen die Fähigkeit zur Rückbezüglichkeit bzw. Selbstreferentialität. Dabei geht es um die Fähigkeit sich mit Umweltereignissen auseinander zusetzen. Alle Befunde sprechen dafür, dass die Wahrnehmungsinhalte weit weniger durch die Charakteristik der Umwelt bestimmt werden als durch den aktuellen Zustand das wahrnehmenden Subjekts. Motorik und Sensorik prüfen ständig das System auf innere Ordnung und auf Verträglichkeit mit der Außenwelt, unsere Sinnesorgane sind Dauerempfänger. Die dabei im Gehirn ablaufenden Aktivierungsmuster sind niemals Wiederholungen. Somit ist auch hier ein linear-kausaler Erklärungsversuch zum Scheitern verurteilt. Ein lebendes System vermehrt sein Wissen nicht durch Auffüllen eines Informationsspeichers, sondern durch Veränderung seiner Struktur im Verlaufe eines Entwicklungs- bzw. Lernprozesses. In lebendigen Systemen gibt es keine Unterteilung in Speicher, Prozessor, Hardware und Software. Der Unterschied zwischen Computer und Gehirn wird im Rahmen der Gesichtererkennung deutlich. Während der Computer das Problem mittels Informationsverarbeitung zu lösen versucht, hat unser Gehirn die Fähigkeit zur Mustererkennung. Diese Mustererkennung lässt Abweichungen zu. Sonst wäre es uns auch unmöglich ein Gesicht, unabhängig von der Art der perspektivischen Darbietung, dem Mimikspiel, Beleuchtung, Farbe, mit und ohne Brille etc, stets als das nämliche zu erkennen. Muster können sich nur geringfügig ähneln und werden trotzdem der selben Lösung zugeführt (ein Herz wird in verschiedensten Formen als Herz erkannt), Muster können fast identisch sein, doch die Lösung ist verschieden, wie beim Erkennen unterschiedlicher Gesichter. Muster ermöglichen Spracherkennung, Bewegungen (Bewegungsmuster), sie ermöglichen uns ein fast zeitgleiches erkennen unserer Umwelt. Dabei ist die Grenze zwischen willkürlichen und unwillkürlichen Mustern eine fließende. Diese Fähigkeit unseres Gehirns ermöglicht uns freies Denken, Phantasie, Instinkt, Gedächtnis, Erinnerung, etc. Diese Fähigkeiten auf ein rein physikochemische Konzept zu gründen ist nicht nur unwissenschaftlich sondern verbaut sich auch alle Möglichkeiten zusätzliche, die rein physikochemische Ebene überwindende, Erkenntnisse zu gewinnen. Diese Wahlmöglichkeit bei der Mustererkennung bedeutet Entscheidungsfreiheit und damit Kreativität, genauso aber auch Nichtvorhersagbarkeit durch einen Beobachter. Diese Wahlmöglichkeit führt aber auch zu einer subjektiven, individuellen Bedeutungserteilung. Wie ein lebendiges System auf Wahrnehmungen und Empfindungen reagiert, kann nur das lebendige System, oder die betroffene Person, selbst fühlen. Ein Außenstehender ist auf Miteilung dieser Person über deren Empfindungen, Gedanken und Vorstellungen angewiesen. Ein Beobachter kann unmöglich aus den Wahrnehmungen auf Empfindungen und Gedanken schließen, selbst wenn er glaubt die Wahrnehmungen zu teilen. Jeder Mensch trägt seine eigene Welt in sich. 4) Lebendige Systeme sind ökologische Systeme. Sie haben eine ihnen zugehörige Umwelt. Mit dieser Umwelt sind sie in einem permanenten Wechselwirkungsprozess verbunden. Da dieser Prozess ununterbrochen andauert, gibt es für das lebendige System keinen funktionellen Ruhezustand. Komplexität und Intensität diese dynamischen Prozesses reflektieren sich in unterschiedlichen Ordnungszuständen. Lebendige Systeme sind aufgrund ihrer strukturellen Verformbarkeit anpassungs-, lern- und entwicklungsfähig. Dem im Verlauf der Evolution erreichten, immer höheren Selbststabilisierungspotential entspricht eine zunehmende Komplexität der Organisation, was vermehrte Instabilität bedeutet. Je höher das erreichte Organisationsniveau, umso größer das existentielle Risiko, aber auch umso größer das adaptive Potential, die Anpassungs-, Lern- und Entwicklungsfähigkeit . 5) In der Ontologie (Seinslehre) gibt es weder einen Leib an sich noch eine Seele an sich, mithin auch kein Leib-Seele-Problem. Ontologisch real sind lediglich Organismen, die psychische Phänomene unterschiedlichen Komplexitätsniveau bis hin zum ICH-Erleben bzw. reflexiven Selbstbewusstsein aufweisen. Diese Fähigkeit beginnt beim Menschen um das dritte Lebensjahr. Gleichzeitig damit entwickelt sich die Fähigkeit, sich selbst als einheitliche und autonome Ganzheit zu erleben. Man kann den Erwerb des ICH-Bewußtseins auch als psychische Perspektive bezeichnen. Die dazupassende körperliche (somatische) Perspektive ist der Erwerb der Immunkompetenz. Immunkompetenz und ICH-Bewußtsein befähigen den eigenen Organismus sich von allem Fremden unterscheiden zu können.
Diese Tatsache macht nicht nur jeden Menschen einzigartig, damit verbunden ist auch das Wissen des Menschen um seine Sterblichkeit. Eine Tatsache, welche weitreichende Folgen hat für Ärzte, Patienten und Krankenhäuser. 6) Lebendige Systeme konstruieren ihre eigenen, subjektiven Wirklichkeiten. Immanuel Kant schrieb 1784: „Erst untersuche, was du selbst als Subjekt in die Natur hineinträgst, ehe du das Wesen der Dinge, die dich umgeben zu erforschen unternimmst. Erst prüfe deine eigenen Anschauungen, ehe du ein Urteil über die von dir geschauten Dinge abgibst.“ Jede Beobachtung, somit auch wissenschaftliche Beobachtungen, kann generell nicht als objektive Projektion einer außerhalb des Beobachters liegenden Realität oder Wahrheit bezeichnet werden. Der Beobachter mitentscheidet, beeinflusst die Beobachtung. Dies mag im Alltagserleben und bei der Betrachtung von Alltagsobjekten kaum eine Rolle spielen, ändert sich aber bei der Betrachtung von komplexeren Objekten oder Zusammenhängen. Diese Tatsache ist für die Arzt-Patienten Beziehung von größter Bedeutung, aber auch der sogenannte Placeboeffekt fällt in diesen Bereich. Die allermeisten der hier zusammengetragenen Erkenntnisse sind alles andere als neu. Besonders Friedrich Wilhelm Joseph Schelling (1775 – 1854) hat viele dieser Erkenntnisse vorgedacht. Er wiederum wurde inspiriert von Immanuel Kant (1724-1804). Die Liste lässt sich sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft verlängern. Es ist die Überheblichkeit der später Geborenen in den Konzeptionen vergangener Denker lediglich durch den Fortschritt überwundene Irrtümer zu sehen. Nach der Beschäftigung mit dem Phänomen „Leben“ erscheint eine Medizin, welche alle Lebensphänomene auf deren physikalisch-chemischen Mechanismus reduziert, als limitiert in ihrer Fähigkeit Krankheit zu verstehen bzw. zu behandeln. Die Beschränkung einer solchen Sichtweise beim Verstehen von Gesundheit ist fast noch ausgeprägter. Gerald Ulrich: „Selbstverständlich werden wir uns selbst niemals vollständig erkennen können, denn dies ist nur von einer Position bzw. logischen Ebene aus möglich, die über der des menschlichen Geistes anzusiedeln ist, d.h. von einem suprahumanen (übermenschlichen) bzw. extramundanen (außerweltlichen) Standpunkt aus.“ Bleibt zu fragen: Ist all dies ein Grund, das vorherrschende biomedizinische Paradigma mittels der in den letzten Jahrzehnten über das Phänomen „Leben“ gewonnen Erkenntnisse zu erweitern. Die Antwort ist ja. Quellen der Betrachtung: Gerald Ulrich, Biomedizin, Die folgenschweren Wandlungen des Biologiebegriffes. Schattauer Verlag, 1997. Friedrich Cramer, Chaos und Ordnung, Die komplexe Struktur des Lebendigen. Insel Taschenbuch, 1993. Friedrich Cramer, Der Zeitbaum, Grundlagen einer allgemeinen Zeittheorie. Insel Taschenbuch, 1996. Friedrich Cramer, Symphonie des Lebendigen, Versuch einer allgemeinen Resonanztheorie. Insel Taschenbuch, 1998. Hannes Pauli, Kerr White, Ian McWhinney, Medical education, research, and scientific thinking in the 21st century, part one, two, three. Education for Health, 2000.
Betrachtung 4 von 5
Zitiert nach Gerald Ulrich, Biomedizin, Die folgenschweren Wandlungen des Biologiebegriffes. Schattauer Verlag, 1997. Unbestreitbar besteht die Aufgabe des Arztes in erster Linie darin, alles in seinen Kräften stehende zu tun, um das Leiden kranker Menschen zu lindern und, wenn möglich, zu beheben. Dies zu betonen ist nicht zu trivial, wie es vielleicht zunächst klingen mag. So gibt es innerhalb der Medizin, insbesondere der universitären, starke Tendenzen, das eigene Metier als eine primär wissenschaftliche Disziplin zu verkennen. Ärztliche Maßnahmen sind aus einer solchen Sicht nichts weiter als angewandte Medizin-Wissenschaft. Eine solche Auffassung, die pari passu (gleichrangig) mit dem rasanten technologischen Fortschritt der vergangenen Dekaden immer selbstverständlicher geworden zu sein scheint, hat sicherlich auch etwas zu tun mit der immer weiter fortschreitenden institutionellen Absonderung von rein theoretisch und rein praktisch tätigen Ärzten. Da nur die patientenferne naturwissenschaftlich-empirische Laborforschung karriereförderlich ist, liegt es auf der Hand, dass das Selbstverständnis der Medizin vor allem von jenen bestimmt wird, für die Krankenversorgung eher ein notwendiges Übel darstellt. In einem allgemeinen Sinn stellt diese Entwicklung die zwangsläufige Konsequenz des sich immer noch weiter verfestigten technomorphen und damit unbiologischen und inhumanen Menschenbildes dar. Die in der Medizin schon immer bestehenden Tendenzen, die Krankheit als Gegenstand vom kranken Menschen zu lösen und per se zu thematisieren, haben in der heute so hochgeschätzten molekularen Medizin bzw. Molekulargenetik enormen Auftrieb erhalten. Damit gilt bereits jede molekular definierte Aberration (Abweichung) somatischer (organische, den Körper betreffende) Prozesse, etwa im Bereich der Enzyme, als `Krankheit´. Für den in der Krankenversorgung tätigen Arzt ist eine derartige Diagnosenvermehrung nicht nur ohne Nutzen, sondern vielmehr hinderlich, da die für immer komplizierter werdende Codierung und Dokumentierung erforderliche Zeit zu Lasten des Arzt-Patienten-Kontakts geht. Schädlich muss der ungebremste Klassifikationsaktionismus auch für die Ausbildung sein. Aufgrund der ins Uferlose angewachsenen gleichrangig nebeneinanderstehenden Diagnosen muss es für den Lernenden immer schwerer werden, das Wichtige, weil Häufige, vom Unwichtigeren, weil Selteneren, zu unterscheiden. Bei aller notwendigen Kritik wäre es doch verfehlt, das hinter dem Streben nach diagnostischer Klassifizierung stehende Spezifitätsdenken als prinzipiell irrig zu brandmarken. Das Spezifitätsdenken ist sicherlich überall dort von größtem Nutzen, wo wir es mit einer `starken´ Kausalbeziehung zwischen einer bestimmten Schädlichkeit und einem definierten Krankheitsbild zu tun haben. Als besonders erfolgreich erweist sich dieses Konzept bei der Bekämpfung der Infektionskrankheiten. Anders als in den Zeiten der Pest, Cholera und Typhus haben wir es heute aber vor allem mit Krankheiten zu tun, die nicht geradlinig auf eine bestimmte Noxe zurückzuführen sind, die sich in ganz unterschiedlichen Erscheinungs- und Verlaufsformen präsentieren und einer individuellen, nicht schon durch die Diagnose festgelegten Therapie bedürfen. Fast immer spielt dabei neben dem somatogenen auch der psychogene Aspekt eine gewichtige Rolle. Für eine angemessene Klassifizierung der heute vorherrschenden komplexen psycho-physischen Symptomverflechtung ist eine zwangsweise verordnete elementaristische Auflösung in ein Sammelsurium von Einzeldiagnosen absolut kontraproduktiv, wird dadurch doch die Realität des Kranken verfälscht und Schaden gestiftet. Auf der Suche nach den spezifischen Ursachen mussten objektiv-messende Verfahren bzw. die apparative Diagnostik eine immer größere Bedeutung gewinnen. Komplementär dazu wurden die allen gemeinsamen und damit unspezifischen Symptome und Beschwerden immer mehr vernachlässigt. Da aber der Kranke dem Arzt nur von dem berichtet, was ihn quält, mussten seine subjektiv geprägten unspezifischen Angaben gegenüber den apparativ gewonnenen Messwerten immer uninteressanter werden. Nachdem wir im Bisherigen versuchten, die Mängel und Gefahren der üblichen diagnostischen Klassifizierung vor Augen zu führen, stellt sich die Frage, wie denn statt dessen zu verfahren sei. Das derzeitige Ordnungsprinzip somatologischer und psychopathologischer Querschnittsbilder bleibt unverzichtbare Verständigungsbasis für die professionellen Helfer, sollte aber niemals den Status definitiver wissenschaftlicher Erkenntnisse beanspruchen und ganz bewusst als vorläufig und somit offen gehalten werden.
Für große Teile der Ärzteschaft wird Gesundheit als Abwesenheit von Krankheit definiert. Dies klingt aufs erste so einleuchtend, dass man geneigt ist, zuzustimmen und sich mit den Argumenten der Gegenseite gar nicht erst auseinandersetzt. Das Begriffspaar „gesund/krank“ lässt sich jenem von „gut/böse“ an die Seite stellen. Genauso wie „nichtböse“ keinesfalls das gleiche bedeutet wie „gut“, so ist für die Sprachgemeinschaft „nichtkrank“ ganz offensichtlich nicht deckungsgleich mit „gesund“. Ein Mensch wird nicht schon deshalb als „gut“ bezeichnet, weil sich an ihm keine negativen Eigenschaften feststellen lassen. Hinzu kommen müssen vielmehr positive Zuschreibungen. Entsprechendes gilt für „gesund“. Woraus speist sich das unserem Sprachgebrauch zuwiderlaufende hartnäckige Beharren auf der reinen Negativdefinition von Gesundheit? Zweifellos spielt hier die vom technischen Fortschritt geförderte zunehmende Selbstbeschränkung der Medizin auf den kurativen (heilenden) Aspekt eine wichtige Rolle. Eine Medizin, die sich in aller erster Linie als Reparaturagentur versteht, wird logischerweise nur daran interessiert sein, wie Krankheit entsteht. Sie ist rein pathogenetisch (Entstehung von Krankheit) orientiert. Die mindest gleich wichtige und interessante Frage, wie Gesundheit entsteht, wird gar nicht erst verstanden. Für den, der nur das pathogenetische Prinzip kennt, können Gesundheit und die zu ihrer Entstehung erforderlichen Bedingungen überhaupt kein Forschungsthema sein. Es liegt erst einige wenige Jahre zurück, dass der Begriff der Salutogenese (Entstehen von Gesundheit) jenem der Pathogenese (Entstehen von Krankheit) an die Seite gestellt wurde. In dem auf lebende Systeme bezogenen Begriff der Salutogenese findet dasjenige Ausdruck, was bei lebenden Systemen dem universellen Trend zur Entordnung (Entropie) entgegenwirkt. Dabei hat man sich ständig klar zu machen, dass gängige Begriffe wie „Selbstheilungskräfte“ oder „Spontanremission“ lediglich beschreibend sind. Um nicht missverstanden zu werden sei betont, dass es nicht darum gehen kann, das pathogenetische durch das salutogenetische Prinzip zu ersetzen. Wie sich leicht am konkreten Beispiel demonstrieren lässt, haben beide Prinzipien ihren Geltungsbereich. Ob man sich als Arzt vom pathogenetischen oder vom salutogenetischen Prinzip leiten lässt oder ob und inwiefern sich beide Prinzipien ergänzen können, muss in jedem Einzelfall und stets von neuem geprüft werden. So wäre etwa eine generelle Forderung völlig verfehlt, die herkömmlichen pathogenetisch orientierten onkologischen Behandlungsverfahren mit Skalpell, Strahlen und Zellgiften durch salutogenetische Therapien zu ersetzen – ganz abgesehen davon, dass wir derzeit über solche Therapien noch gar nicht verfügen. Die Aufgabe besteht vielmehr darin, diejenigen biologischen Mechanismen zu erforschen, die dem Organismus natürlicherweise zur Verfügung stehen, mutierte Zellen zu vernichten. Damit würde der heute so verschwommene und von Scharlatanen (und Geschäftemachern) innerhalb und außerhalb der Ärzteschaft so missbrauchte Begriff der Naturheilkunde mit einem neuen Sinn erfüllt. Selbstverständlich müsste sich eine Naturheilkunde, die sich als rational fundierte Medizin mit spezieller Akzentuierung des salutogenetischen Prinzips versteht, von allen irrationalen Verfahrensweisen der sogenannten alternativen Medizin distanzieren. Erhebliche Konsequenzen dürften salutogenetische Überlegungen nicht zuletzt auch für die Qualität der Arzt-Patienten-Beziehung bzw. für Entscheidungen über Behandlungsverfahren und Behandlungsziele haben. Der pathogenetisch orientierte „Gesundheitsingenieur“ fragt: Was ist defekt und was davon reparabel? Der darüber hinaus auch salutogenetisch denkende Arzt fragt: Was ist dem Patienten unter Berücksichtigung der jeweiligen sozialen Randbedingungen noch möglich und wie ließe sich seine Lebensqualität verbessern? Ein und derselbe Patient wird aus der ersten Perspektive möglicherweise als hoffnungsloser, weil irreparabler Fall eingestuft, aus letzterer Perspektive hingegen als potentieller Rehabilitant, bei dem sich zwar keine Restitutio ad integrum (vollständige Wiederherstellung), wohl aber ein vom Patienten als lebenswert empfundener Zustand erreichen lässt. Wie bereits angedeutet, gibt es in der Medizin häufig Situationen, in denen unter allen Umständen primär nach dem pathogenetischen Prinzip zu verfahren ist. So geht es im weiten Feld der Akutmedizin ausschließlich um eine möglichst rasche und effiziente Reparatur. Ein Primat des salutogenetischen Prinzips sehen wir demgegenüber bei den chronischen Krankheiten. Der Arzt wird sich in Zukunft nicht mehr nur als Reparateur sehen können, dessen subjektive Vorstellung vom richtigen Funktionieren dem Patienten gegenüber als objektive Wahrheit ausgegeben wird. Er ist vielmehr gehalten, sein gesamtes Handeln auch aus der Patientenperspektive zu reflektieren. Dies bedeutet, den Reparaturgesichtspunkt dem Präventionsgesichtspunkt unterzuordnen.
Nach dem bisher Gesagten sollte ausreichend klar geworden sein, dass die körperlichen Krankheiten genauso wenig rein naturwissenschaftlich zu betrachten sind wie die seelischen Krankheiten rein geisteswissenschaftlich. Medizin im allgemeinen und Psychiatrie im besonderen sind weder Natur- noch Geisteswissenschaften, sondern stets beides, eben eine biologische Disziplin! Wirklich ganzheitlich denken und handeln kann aber nur eine Medizin, die den Leib-Seele-Dualismus überwunden hat. Es kann nicht oft genug wiederholt werden, dass für den biologisch Denkenden die Rede vom Leib wie auch die von der Seele nicht etwa unterschiedliche Dinge (Wesenheiten), sondern nur die beiden fundamentalen und zueinander komplementären Perspektiven meinen kann, unter denen lebende Systeme als Ganzheiten zu beschreiben sind. Alle medizinischen Fächer sind, insofern sie mit dem Lebendem zu tun haben, biologisch, d.h. prinzipiell biperspektivisch. Unterschiedlich ist von Fach zu Fach sicherlich die Gewichtung der beiden Perspektiven. So wird in operativen Fächern generell eher die somatische Perspektive dominieren, während in den konservativen Fächern auch die psycho-soziale Perspektive mehr oder weniger Berücksichtigung findet. Wer die auch institutionell verankerte strikte Scheidung von Biologie und Geisteswissenschaften bzw. Natur- und Geisteswissenschaften in Frage stellen wollte, wird in aller Regel auf Unverständnis stoßen. Zu sehr ist die im Laufe vieler Dekaden immer selbstverständlicher gewordene Zweiteilung auch für unsere Denkinhalte bestimmend geworden. Ehedem als Fortschritt betrachtet, erweist sich dieses „fatale Schisma (Trennung) von Biologie und Geisteswissenschaft“ (v. Uexküll u. Wesiack, 1989) heute als ein Fortschritthindernis ersten Ranges. Ganz allgemein ließ sich der Naturwissenschaftler durch ein Vertrauen in eine vorausgesetzte Ordnung der Welt charakterisieren. Dieses Vertrauen geht einher mit einem Streben nach Eindeutigkeit bzw. einer Abneigung gegen Mehrdeutigkeit wie auch mit Schwierigkeiten im Umgang mit fließenden Bewegungen. Stets auf klare Kategorisierung abzielend, neigt eine Person mit typisch naturwissenschaftlichem Denkstil dazu, störende Kontexte einfach zu ignorieren. Dem typischen Geisteswissenschaftler hingegen bereiten fließende Bedeutungen, Mehrdeutigkeiten und ordnungsstörende Kontexte keine Schwierigkeiten. Es kommt nicht unerwartet, dass dort, wo zur Bewältigung einer Aufgabe integrative Interdisziplinarität gefordert wird, das Scheitern von vorneherein abzusehen ist. Solches Scheitern beruht auf negativen Vorurteilen gegenüber der jeweils anderen Seite. Aus der Sicht des Naturwissenschaftlers bedeutet das Eingehen auf den geisteswissenschaftlichen Denkstil Verzicht auf Effektivität. Umgekehrt widerstrebt es dem Geisteswissenschaftler, sich das vom Naturwissenschaftler gepflegte, künstliche Isolieren komplexer Untersuchungsgegenstände einüben zu müssen. Integrative Interdisziplinarität ist also nicht leicht zu haben. Um den immer weiter in die unfruchtbare Endlosigkeit führenden Trennungsprozess der Wissenschaft aufzuhalten und die so dringend gebotene Gegenbewegung integrativen Forschens wie auch Therapierens einzuleiten, ist dreierlei erforderlich. Zum ersten haben Natur- und Geisteswissenschaftler die jeweils andere „Denk-Kultur“ als gleichrangig anzuerkennen. Zum zweiten muss hie wie da jede sich bietende Möglichkeit einer „Metakommunikation“ zwischen den beiden antinomen (widersprechenden) „Denk-Kulturen“ genutzt werden. Nicht zuletzt muss die anzustrebende Wiedervereinigung von Natur- und Geisteswissenschaften auch begrifflich fixiert werden, denn nur so können wir uns vor den stets drohenden Rückfällen in die gewohnten Denkschablonen schützen. Eine einheitliche Theorie der Medizin wird es jedoch nie geben, weil sich das Ganze des Menschseins dem direkten Zugriff entzieht. Nur indem sie die unterschiedlichen Teilaspekte in ein angemessenes Verhältnis bringt, kann die Medizin zum Wohl ihrer Patienten wirken. Dass diese Aussage für alle medizinischen Fächer gilt, sei hier mit allem Nachdruck festgestellt. Der Umstand, dass derartige Einsichten dem Psychiater offenbar näher liegen oder näher liegen sollten als etwa einem operativ tätigen Arzt, erklärt sich damit, dass ersterer es stets mit einer Person zu tun hat und sich nicht so einfach auf die Reparatur eines erkrankten Organs beschränken kann. Um nicht missverstanden zu werden, die Beschränkung auf eine umschriebene Teilfunktion ist im Falle einer davon ausgehenden vitalen Bedrohung keinesfalls zu kritisieren, sondern vielmehr absolut geboten. In einer solchen Situation wäre die Beschäftigung mit anderen als den gerade im Vordergrund stehenden Problemen nicht nur ein Kunstfehler, sondern ein strafwürdiges Delikt. Zur Person wird der Patient für den Traumatologen, wenn überhaupt, erst nach der Primärversorgung im
Stadium der Genesung. Sicherlich ist die Traumatologie nicht repräsentativ für das Arzt-Patienten-Verhältnis oder sollte es wenigstens nicht sein. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass das beim Traumatologen, Anästhesiologen, Intensivmediziner, Chirurgen aller couleur, nicht zuletzt auch Radiologen von der Aufgabenstellung her induzierte technomorphe ärztliche Selbstverständnis die Medizin in ihrer Gesamtheit stark beeinflusst hat. Dass dieser Trend zunehmend auch das in der Öffentlichkeit bestehende Bild von dem, was Medizin sei, prägt, ist in Anbetracht der enormen Fortschritte, die aufgrund technologischer Innovation möglich wurden, nicht weiter verwunderlich. Die (eingangs erwähnte) Pendelbewegung zwischen Theorie- und Praxisorientierung ist bis zum heutigen Tag nicht zum Stillstand gekommen. Eine Dämpfung dieser Bewegung auf einen dem Patientenwohl förderlichen mittleren Bereich ist bei realistischer Einschätzung ein eher langfristiges Ziel. Voraussetzung dafür wäre biologisches Denken und Forschen, denn nur daraus kann die Einsicht erwachsen, dass Handeln und Wahrnehmen miteinander untrennbar verschränkt sind, mithin auch ärztliches Handeln (Praxis) und ärztliches Wahrnehmen/Denken (Theorie). Beim „guten“ Arzt ist diese Verschränkung auf optimale Weise realisiert, auch wenn er sich dessen nicht bewusst sein sollte. Ein erster Ansatzpunkt auf dem langen und steinigen Weg zu einer integrativ therapierenden Medizin ergibt sich, wenn wir die verschiedenartigen Therapieverfahren nicht – wie üblich – in somatologische und psychologische bzw. psycho-soziale unterteilen, sondern statt dessen hinsichtlich ihrer Zielsetzung unterscheiden. So kann eine medizinische Therapie entweder präventiv (vorsorgend), kurativ (heilend) oder palliativ (leidenlindernd)/rehabilitativ (wiederherstellend) sein. Zur präventiven Therapie – auch als prophylaktische Therapie oder als Prophylaxe bezeichnet – zählen zum Beispiel die aktiven Immunisierung, die systematische Desensibilisierung, die medikamentöse Prophylaxe anfallsartiger Schmerzzustände und die antiepileptische Dauermedikation. Die präventive Therapie unterscheidet sich von der kurativen dadurch, dass sie dem symptomfreien Patienten zuteil wird. Sie zielt nicht auf eine Beseitigung von bestehenden Krankheitserscheinungen bzw. auf die Korrektur eines pathophysiologischen Geschehens. Vielmehr setzt sie bei der Vorbedingung der Krankheit an, d.h. bei der Vulnerabilität/Disposition. Unter palliativ/rehabilitativen Therapien lassen sich alle Therapien subsumieren, die dem Kranken trotz Bestehens einer unheilbar und chronischen, progredienten oder stationären Krankheit ein halbwegs befriedigendes Leben in Familie und Gesellschaft ermöglichen. Selbstverständlich hat auch die palliativ/rehabilitativen Therapie ein somatologisches wie ein psychologisches Bein. Auch hier wird ein optimaler Erfolg nur durch eine Integration der beiden Perspektiven zu erzielen sein. Die Erfolge einer solchen Therapie sind nicht, wie bei der kurativen Therapie, am kurzfristig verbesserten körperlichen Zustand zu messen. Ein viel wichtigeres Kriterium ist hier die Zufriedenheit des Patienten. Dabei spielen natürlich die psycho-sozialen Faktoren eine ungleich wichtigere Rolle als bei der kurativen Akutmedizin. Wo – so ist zu hören – hätte man denn als Arzt überhaupt eine Chance bei all den Widrigkeiten, einen Veränderungsprozess in Gang zu setzen? Meine Antwort darauf: Wir müssen uns, wie von Hans Selye vor etwa einem halben Jahrhundert gefordert, das nur scheinbar triviale Faktum wieder vergegenwärtigen, dass uns die Patienten nicht wegen einer spezifischen Krankheit aufsuchen, sondern wegen unspezifischer Beschwerden und allgemeinen Unwohlsein. Das Primat gebührt nicht länger der Pathologie, sondern dem Krankheitserleben. Wir Ärzte müssen wieder lernen, besser auf das zu achten, was uns die Patienten sagen und nicht immer alles besser wissen wollen. Bleibt zu fragen: Ist all dies ein Grund, über Konsequenzen für das österreichische Gesundheitssystem, für österreichische Ärzte, im besonderen Allgemeinmediziner, sowie über persönliche Konsequenzen als Arzt, Patient oder sonst irgendwie Betroffener nachzudenken. Die Antwort ist ja.
Betrachtung
Bei den Lesern der Betrachtung über eine biologische, biperspektivische Konzeption der Medizin werden zwei Gruppen dominieren. Jene welche den österreichischen Gesundheitsalltag nicht so gut kennen, werden die Folgerungen und Forderungen einer solchen Konzeption als banal, ja selbstverständlich empfinden. Die zweite Gruppe, welcher jene angehören die den österreichischen Gesundheitsalltag sehr gut kennen, wird sich fragen, wie die Folgerungen und Forderungen einer solchen Konzeption jemals Realität werden sollen. Zwischen diesen beiden Sichtweisen spannt sich der Bogen der Möglichkeiten. Ich persönlich gehöre der zweiten Gruppe an. Meine Perspektive des österreichischen Gesundheitssystems ist die eines Allgemeinmediziners, welche im letzten Jahr durch die Perspektive einer Public Health Ausbildung erweitert wurde. Beide Perspektiven sind beschränkt und deshalb ist auch meine Betrachtung der Akteure im österreichischen Gesundheitssystem, sowie generell jede Betrachtung, eine subjektive und beschränkte. Es gibt vier Hauptakteure im österreichischen Gesundheitssystem (fast wäre man versucht Gesundheitstheater zu sagen): Die Patienten oder Kunden, die Ärzte oder Leistungserbringer, die Krankenkassen oder Schatzmeister, die Politiker oder Gesetzemacher. Mit einer Betrachtung der Ärzte zu beginnen erscheint sinnvoll, fällt ihnen doch aufgrund ihrer zentralen Rolle eine ganz spezielle Bedeutung zu. Nach Jahren des Zögerns und der Konzeptlosigkeit, erfolgte in diesem Jahr die längst überfällige Reform des Medizinstudiums in Österreich. Diese Studienreform wird alle drei Universitäten (Innsbruck, Graz, Wien) voll fordern und auch vor große Probleme stellen. Nicht nur Studierende werden neu und hoffentlich auch mehr lernen, sondern auch die Lehrenden und ihre Institute müssen neu motiviert werden. Allein schon die Koordination zwischen den Instituten bedingt eine Wiederbelebung der bereits eingeschlafenen Kommunikation, sowie eine Umwandlung des oft hemmenden Konkurrenzdenkens, in einen Dialog über den neuen gemeinsamen Weg. Die nächsten Jahre werden Aufschluss darüber geben, ob diese Reform fähig ist ein Klima zu schaffen in dem „Lernen“ möglich ist. Dieses Lernklima hat sich nicht nur vollständig aus den drei Medizinischen Fakultäten verabschiedet, sondern trug stark dazu bei, die Rolle von Lernenden hochgradig abzuwerten. Der Umstand, dass Medizinstudenten während des Studiums maßgeblich in ihren Sicht- und Denkweisen geprägt werden ist eine unwiderlegbare Tatsache. Dass Lehrende, Professoren, Ausbildungsverantwortliche und zuständige Politiker so lange nicht in der Lage waren etwas an diesem Faktum zu ändern, zeigt nicht nur ihre Schwierigkeiten beim Finden einer gemeinsamen Perspektive, sondern zeugt auch von unverzeihlicher Verantwortungslosigkeit, Ignoranz und Mangel an langfristigem Denken. Die auf ein theorieüberladenes, praxisfernes Studium folgende Turnusausbildung, welche den Jungarzt als fertigen Allgemeinmediziner entlassen soll, zeigt sich bei näherer Betrachtung als noch eindrucksvolleres Beispiel verfehlter Ausbildungspolitik. Nach einer mehr oder weniger langen Wartezeit findet sich die oder der Turnusarzt in einem Klinikalltag wieder auf den er nicht nur mangelhaft vorbereitet wurde, sondern der ihr/ihm nur allzu oft feindlich begegnet. Die erhoffte Wirkungen von Maßnahmen wie Turnusärzteprofil und Rasterzeugnis verpufften hinter den Spitalsmauern. Für Veränderungen des Ausbildungsklimas bzw. Veränderungen in den Köpfen der Lehrenden, der Partner (z.B. Krankenschwestern, Pflegepersonal, medizinisch-technisches Personal) und der Betroffenen, reichten und reichen diese Einführungen bzw. Konzepte nicht aus, sie haben eindeutig versagt. Die Folge ist, dass zukünftige Allgemeinmediziner biomedizinisch mangelhaft ausgebildet werden, ihre Rolle sich immer mehr den jeweiligen Bedürfnissen der Abteilung anpasst, und eine einseitige Prägung von Sicht- und Denkweisen in den Köpfen dieser zukünftigen Allgemeinmediziner weiterhin stattfindet. Projektvorschlag 1: Antworten zu finden auf folgende Fragen: Wie haben österreichische Allgemeinmediziner nach diesen 10 – 12 Jahren zu denken gelernt? Wie wird sich diese Art des Denkens auf ihre Entscheidungen auswirken, und damit auf Qualität, Kosten, zukünftige Reformen, Strategien und Visionen? Inwieweit hat die Art der Ausbildung bereits zu erfolgreichen Mechanismen geführt, welche Defizite bzw. Unsicherheiten verschleiern, sie kompensieren und damit einer
Evaluierung schwer zugänglich machen? Wie viele dieser Lernenden werden gute Lehrende und gute Partner in der Zukunft? Wie viele dieser zukünftigen Allgemeinmediziner sind bereit ihre festgefügten Meinungen und Bilder zu verlassen, um die Möglichkeiten, die in einer interdisziplinären Bearbeitung der Probleme liegen, zu nutzen? Wie wird sich diese Art des Denkens auf die Bewertung von Ärzten in der österreichischen Gesellschaft auswirken? Projektvorschlag 2: Durchführung einer teilweise verzahnten, interdisziplinären Ausbildung von Medizinstudenten, Krankenschwestern, Physiotherapeuten und anderen Gesundheitsberufen, um nach einem zu definierenden Zeitraum, mittels seriöser quantitativer und qualitativer Studien, den Effekt einer solchen „Art“ der Ausbildung auf die Denk- und Sichtweisen von Leistungserbringern im Gesundheitssystem herauszufinden. (wird in Innsbruck bereits angedacht) Grundsätzlich gilt: Eine qualitativ hochwertige Ausbildung von Medizinern ist in einem Massenbetrieb nicht möglich. Projektvorschlag 3: „Brain storming“ bezüglich geeigneter Strategien für eine effektive und vor allem faire Selektion von Medizinstudenten, basierend auf dem tatsächlichen Bedarf und tatsächlichen Kapazitäten. Die Entwicklungen zu Sparen, zu Rationalisieren, die „Qualität“ zu sichern, statistisch verwertbare Daten zu erheben haben zu einem historischen Höchststand an Bürokratie geführt. Die öffentlichen Spitäler ersticken an dieser neuen Bürokratie, welche sie von der Arbeit am Patienten abhält. Die Dokumentation von Leistungen, der Nachweis von Qualität und ökonomische Fragen werden höher gestellt als Werte wie Ausbildung, Arbeitsplatzqualität und innerbetriebliche Kommunikation. Der allgegenwärtige Zeitdruck fördert nicht nur eine schlechte Medizin, sondern belastet auch alle Beteiligten. Schließlich erlaubt das geltende Ärztearbeitsgesetz, selbst wenn es eingehalten wird, 32 bzw. 49 Stundenschichten, welche man bei genauerer Betrachtung als unmenschlich bezeichnen muss. Viele österreichische Ärzte sind, oft unfreiwillig, biomechanisch denkende, in Routine verfallene, Gesundheitsingenieure geworden. In den Krankenhäusern von Österreich, der traditionellen Ausbildungsstätte österreichischer Allgemeinmediziner, existieren nicht mehr die Strukturen und herrscht nicht mehr das Klima in dem Lernen möglich ist. Eine solch heftige Kritik an der Ausbildung österreichischer Allgemeinmediziner fällt nicht leicht, aus dem einfachen Grund, dass ich zu viele Ausnahmen von der Regel kenne, zu viele motivierte, vor allem am Wohl ihrer Patienten orientierte Ärzte. Dieser Umstand ändert aber nichts an meiner festen Überzeugung, entstanden in sieben Jahren Krankenhausalltag, dass eine große Anzahl der österreichischen Ärzte ausgebrannt, desillusioniert, in ihren eigenen Interessen, Denk- und Sichtweisen gefangen, beinahe roboterhaft routiniert agiert, und sich nur äußerlich interessiert an den Menschen zeigt, welche sich gutgläubig in ihre Hände begeben haben. Fast noch schlimmer wiegt dabei die Tatsache, dass sich die meisten Ärzte mit dem gegebenen Status quo abgefunden haben, sich anpassten und eine neugierige Hinterfragung nicht einmal versuchen. Ich wiederhole: Es wäre falsch die Krise unseres Gesundheitswesens und die Folgen der Schwächen des biomedizinischen Modells allein den Ärzten anzulasten. Das herrschende biomechanische Paradigma beherrscht natürlich auch die Patienten, nicht zuletzt aufgrund der zumeist irreführenden Information durch die Medien, es ist letztendlich ein gesamtgesellschaftliches Problem. Wir haben es mit einem Circulus vitiosus zu tun, der den Status quo gegen Veränderungen immunisiert. Welcher Arzt kann es sich in einem solchen, nur als inhuman zu bezeichnenden System überhaupt noch leisten, sich Zeit zu nehmen und zuzuhören? Wie können solche Ärzte wissen, was für einen bestimmten Kranken hier und jetzt das Beste sei? Inwieweit sind es kommunikative Defizite, an dem heute, wohl mehr denn je, die Arzt-Patienten-Beziehung und damit die Medizin selbst krankt, verantwortlich für die so offensichtlichen Defizite im österreichischen Gesundheitssystem? Inwieweit wirkt sich die Zufriedenheit der Leistungserbringer auf die Zufriedenheit und das `outcome´ von Patienten aus? Projektvorschlag 4: Wäre es nicht einen Versuch wert, einem Krankenhaus bzw. einem ganzen Versorgungssystem (primär plus sekundär), welches ich dann auch gerne als Gesundheitswesen bezeichne, und den darin Beschäftigten, die Zeit zu geben ihren Beruf erfüllender und effektiver auszuführen, ihre kommunikativen Fähigkeiten, interdisziplinäre Zusammenarbeit zu verbessern und ihren Zugang zum Patienten auf das propagierte biologische Konzept zu stellen? um nach einem zu definierenden Zeitraum, Kosten, `outcome´ und die Zufriedenheit aller Akteure seriös zu evaluieren?
Als Kunden spielen selbstverständlich die Patienten eine Hauptrolle im Gesundheitstheater. Obwohl die anderen Akteure auf der Bühne ständig beteuern, dass der steigende Aufwand und alle Bemühungen sich nur um das Wohl der Patienten drehen, stellt man bei genauerer Betrachtung fest, dass dies erstens nicht ganz stimmt und zweitens der Akteur Patient wenig Ahnung davon hat, nach welchen Regeln im Gesundheitstheater gespielt wird. Folgende Eigenschaften beschreiben den modernen Kunden des österreichischen Gesundheitssystems: Hohe Zufriedenheit - die zweithöchste in Europa. Zunehmende Unzufriedenheit - mit der nonverbalen Dreiminuten Medizin, mit den Mängeln, Fehlern und Limitierungen der technisch dominierten Hochleistungsmedizin. Hohe Erwartungshaltungen - Patienten sehen analog zu ihren Ärzten ihren Körper als technische Maschine und glauben daher auf eine perfekte Reparatur bestehen zu können. Geringe Eigenverantwortung - nur ein Viertel fühlt sich für seine Gesundheit selbst verantwortlich. Zunehmende Verweigerung - man schätzt, dass sich etwa zwei Drittel aller Patienten absichtlich nicht an ärztliche Verordnungen halten. Zunehmende Besorgnis - jeder zweite Österreicher macht sich Sorgen um seine Gesundheit. Zunehmende Orientierungslosigkeit - mehr denn je suchen Österreicher nach Alternativen und tappen in die Fallen von offenen und geheimen Verführern mit einfachen Antworten. Zunehmender Irrationalismus - auch in Österreich folgt man dem Trend der anderen westlichen Länder, hin zur Esoterik als Folge einer allgemeinen Abwendung vom Rationalismus (ein Phänomen, welches auch immer mehr unter Ärzten zu beobachten ist). Unrealistische Vorstellungen - von einem Ärztebild, welches geprägt ist von historischen Sichtweisen, welche sich vermischen mit zumeist fehlerhaft und irreführender Laieninformation durch die Medien. Zunehmende Angst vor dem Tod - mehr als die Hälfte aller Österreicher sterben in Institutionen und nicht zu Hause. Projektvorschlag 5: Durchführung von seriösen qualitativen Studien, um mehr über die oben angeführten Eigenschaften herauszufinden. Projektvorschlag 6: Basierend auf den Erkenntnissen dieser Studien sollten Ärztekammern und andere Ärzteorganisationen ein Konzept erarbeiten, welches dazu dient die österreichische Öffentlichkeit ehrlich und umfassend über die Möglichkeiten und Grenzen der modernen Medizin, und damit des österreichischen Gesundheitssystems bzw. der österreichischen Ärzte, zu informieren. Um eine solche Informationskampagne erfolgreich durchzuführen, muss diese selbstverständlich von einer möglichst breiten Basis der österreichischen Ärzte getragen und aufrechterhalten werden. Allgemeinmediziner kennen am besten das häusliche, soziale, beschäftigungsmäßige, kulturelle und biologische Umfeld, in dem das Kranksein ihrer Patienten entsteht. Es ist eine unbestreitbare Stärke der österreichischen Allgemeinmediziner, dass sie zu ihren Patienten eine lange und stabile Beziehung haben. Die österreichischen Allgemeinmediziner befinden sich daher, auch international gesehenen, in der ausgezeichneten Situation, jene Forschungen durchführen zu können die für eine Erweiterung des biomedizinischen Paradigma notwendig sind. Projektvorschlag 7: Planung von Studien im allgemeinmedizinischen Bereich, um jene unausgeschöpften Möglichkeiten, welche in einer biperspektivischen Betrachtungsweise von Krankheit und Gesundheit liegen könnten, zu verstehen und zu nutzen. Um solchen Studien den nötigen wissenschaftlichen, biologischen Hintergrund zu verleihen, ist eine vermehrte Zusammenarbeit der naturwissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Fakultäten in Österreich notwendig. Projektvorschlag 8: Projektierung einer fachübergreifenden Zusammenarbeit österreichischer Institute aller Disziplinen, welche sich mit dem Phänomen „Leben“ beschäftigen, um aktiv an der internationalen Forschung in diesem Bereich zu partizipieren. Eine Großlast der Pflege und Betreuung von Alten, Kranken und behinderten Menschen wird in Österreich von Angehörigen getragen. Ihre Bedeutung wird fahrlässig unterschätzt und ihre Beziehung mit dem professionellen System wird von diesem eindeutig dominiert. In Zeiten wo Familienstrukturen zerfallen und unsere Gesellschaft immer mehr zur Individualgesellschaft wird, vermindert sich zwangsläufig die Leistungsfähigkeit dieses, zu oft vernachlässigten, ja oft nicht einmal hinzugezählten, Bereichs unseres Gesundheitssystem. Projektvorschlag 9: Antworten für folgende Fragen zu finden: Wie stark ist dieser Bereich? Welche Entwicklungstendenz weist er auf? Wo sind Verbesserungen möglich? Projektvorschlag 10: Entwicklung eines primären Versorgungsmodells für Österreich.
Womit wir bei den österreichischen Krankenkassen und der österreichischen Gesundheitspolitik angelangt wären. Ich möchte über diese zwei Akteure nicht viele Worte verlieren. Erstens, fehlt mir das nötige Insiderwissen und zweitens, kann jeder Staatsbürger sich tagtäglich in den Medien über den neuesten Stand der Lenkungsversuche dieser beiden Akteure, welche man nur als verzweifelt bezeichnen kann, informieren. Die zwischen Ländern, Bund und Krankenkassen verteilten Finanzierungslast von Krankenversorgung, Pflege, Gesundheitsförderung und Prävention, gegensätzliche Lobby- und Standesinteressen dieser „großen Akteure“, sind in der derzeitigen Situation ebenfalls nicht sehr förderlich. Dies bringt uns zu der Rolle, welche Public Health Fachleute spielen könnten. Als ich mich Anfang des Jahres auf die weite Reise machte um den lange ersehnten Überblick über Gesundheitswesen zu bekommen, war ich noch recht optimistisch was diese Rolle betrifft. Dieser Optimismus hat sich inzwischen relativiert. Die postgraduate Ausbildung zum Master of Public Health ist, zumindest in Neuseeland, weit davon entfernt eine wirkliche Plattform für Experten aus allen Sparten des Gesundheitssystems zu sein. Dies liegt nicht am Mangel an Heterogenität unter den Studenten, sondern vielmehr an den fehlenden Objektiven dieser Fortbildungseinrichtung, genau diesen Aspekt der Ausbildung zu fördern und zu fordern. Das Projekt, School of Public Health in Österreich, ist 1999 bekanntlich an den fehlenden Geldmitteln, 38 Millionen Schilling über 5 Jahre verteilt, gescheitert. Das 1997 von der steiermärkischen Landesregierung ins Leben gerufene Stipendienprogramm, zum Zwecke einer Public Health Ausbildung im In- und Ausland (25 Anträge wurden bis 1.3.2001 bewilligt), wird heuer eingestellt. Projektvorschlag 11: Festhalten an der Vision einer eigenen Ausbildungsstätte, welche neben der Vermittlung entsprechenden Qualifikationen, vor allem jenen oben beschriebenen Aspekt der Ausbildung fördert und fordert. In Zeiten massiver, zum Großteil noch ausstehender Veränderungen im österreichischen Gesundheitswesen, bieten interdisziplinär ausgerichtete Kurse eine Möglichkeit andere Meinungen und Denkweisen kennenzulernen und sich mit ihnen kritisch auseinanderzusetzen. Diese Diskussion ist dringend erforderlich, gilt es doch unterschiedlichen Rationalitäten von Patienten, Medizinern, Ökonomen, Krankenkassen, Politikern etc. auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Eine wesentliche Aufgabe in dieser Diskussion könnte Public Health Experten zufallen, welche durch ihre Kommunikationsfähigkeiten und Kompetenzen eine Brücke zwischen Konfliktparteien bilden, und damit den Grundstein zur Lösung der anstehenden Probleme im österreichischen Gesundheitswesen bieten. Ich fürchte, dass auch diese Hoffnung nur meine persönliche Vision bleiben wird und Public Health in Österreich, kaum institutionalisiert, Plattform für alles andere wird, nur nicht eine Plattform für den geforderten konstruktiven Dialog. Bleibt noch über persönliche Konsequenzen nachzudenken. Der Ingenieur (bis 1984), welcher neben seiner Arbeit Medizin studierte (1984-1994) und sieben Jahre als Arzt arbeitete (1994-2000) hat im Jahre 2001 feststellen müssen, dass Ärzte zu Gesundheitsingenieuren geworden sind und Medizin zur Ingenieurskunst. Eine Rückkehr in den Klinikalltag ist ausgeschlossen und eine Wiederaufnahme der Notarzttätigkeit nach zwei Jahren Abwesenheit eher unrealistisch. Bleiben zwei Möglichkeiten. Die Arbeit als niedergelassener Allgemeinmediziner oder die Möglichkeit aktiv an der Umsetzung oben angeführter Projekte mitzuarbeiten. Beides erscheint mir derzeit eher unwahrscheinlich. Bleibt eine dritte, die derzeit wahrscheinlichste Möglichkeit, der Obstbauer in der Oststeiermark. Ich hoffe meine fünf Betrachtungen haben zum Denken angeregt, vielleicht ist ein Funken übergesprungen, oder es wurde die Neugier geweckt einmal aus etablierten Denkstrukturen auszubrechen. Wie auch immer, mir hat es geholfen meine Gedanken zu sammeln und zu organisieren, ein Umstand welcher mir in Zukunft sicher von Nutzen sein wird.
MARINE ECOLOGY PROGRESS SERIES Vol. 299: 55–66, 2005 Published September 1 Mar Ecol Prog Ser Impact of recreational harvesting on assemblages in artificial rocky habitats Laura Airoldi1, 2,*, Francesca Bacchiocchi2, Claudia Cagliola2, Fabio Bulleri1, 2, Marco Abbiati2 1 Dipartimento di Biologia Evoluzionistica Sperimentale, Università di Bologna, Via Selmi 3, 40126 Bolo
COMPARATIF DES LISTES 2004 et 2005 DE SUBSTANCES ET PROCEDES INTERDITS LISTE 2004 MODIFICATIONS CONTENUES DANS LA LISTE 2005 (Arrêté du 20 avril 2004 modifié par l’arrêté du 16 août 2004) Classes des substances interdites en compétition Substances S1. Stimulants La classe S1 a comprend les substances interdites suivantes, ainsi que leurs interdites Adra